Montag, 7. April 2014

Ein bisschen LIBRE


Nach der Wahl im November steht die honduranische Resistencia weiterhin einer Regierung der Oligarchie gegenüber, hat aber erstmals eine parlamentarische Vertretung
Von Johannes Schwäbl, Paula Brücher, Andrés Schmidt, der Artikel erschien im Infoblatt 82 des Ökumenischen Büros

Honduras wurde im Juni 2009 durch einen Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya erschüttert. In den Monaten nach dem Putsch kam es zu gravierenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen gegen die honduranische Bevölkerung durch Polizei und Militär. Die auf den Putsch folgende Regierung von Porfirio Lobo diente den Interessen der nationalen Elite und stand für Korruption, Straflosigkeit und wirtschaftliche Stagnation. Als Reaktion auf den Putsch hatte sich die Bewegung Resistencia FNRP gebildet, in der sich unterschiedliche soziale Gruppierungen zusammengeschlossen hatten. Im Jahr 2011 entschloss sich ein Teil der Bewegung eine Partei zu gründen: Libertad y Refundacion (= Freiheit und Neugründung), kurz LIBRE genannt. Die Menschenrechtsverletzungen der Putschregierung sollten „an der Urne bestraft werden“, gab Ex-Präsident Zelaya als Losung aus. Seine Frau Xiomara Castro wurde Präsidentschaftskandidatin, er selbst kandidierte für den Kongress. Die Hoffnung war groß: Viele Umfragen bestätigten, dass LIBRE die Wahlen gewinnen könne.



Einer von zwei Honduraner_innen lebt unter der Armutsgrenze (Weltbank). Honduras hat laut UN-Statistik die weltweit höchste Mordrate in einem Land ohne Krieg. Das Land steht vor dem Staatsbankrott. Statt gegen den Drogenhandel vorzugehen, sind staatliche Institutionen selbst an der organisierten Kriminalität beteiligt. Die regierende PNH (=Nationale Partei )fährt einen strikt neoliberalen Kurs, infolgedessen sich Armut und Ungleichheit im Land verschärfen. Im ganzen Land gibt es schwere Auseinandersetzungen, bei denen es vor allem um Zugang zu Land geht. Die Konfliktlinien: Kleinbäuer_innen und Indigene kämpfen für den Erhalt ihrer Lebensgrundlage, während die Regierung Land für Großprojekte (z.B. Staudämme, Minen, Tourismus-Ressorts) an nationale und internationale Investoren vergibt. Um die Interessen der Investoren durchzusetzen, werden Militär und Polizei gegen die Bevölkerung eingesetzt, wobei sie systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen. Häufig werden Aktivist_innen ermordet, entweder offen durch staatliche Organe oder durch Auftragsmörder. Es herrscht eine allgemeine Straflosigkeit. In nur 20% aller Kriminalfälle wird überhaupt ermittelt.

Für LIBRE war der Weg zur Wahl von schweren Behinderungen begleitet. Im Oktober 2013 gab die kanadische Organisation Rights Action eine „Unvollständige Liste von Tötungen und bewaffneten Angriffen im Kontext des Wahlkampf 2012-13“ heraus: Von den 36 dokumentierten Morden an Kandidat_innen, Aktivist_innen und deren Angehörigen wurden allein 18 an Angehörigen der Partei LIBRE verübt, so viele wie bei allen anderen Parteien zusammen. Ein klares Missverhältnis zugunsten der regierenden PNH bestand in den finanziellen Möglichkeiten zur Durchführung der Kampagne. So ermittelte etwa die Wahlbeobachtungskommission der EU, dass 66% der Wahlplakate in Tegucigalpa von der PNH aufgestellt wurden. Unregelmäßigkeiten betrafen das Wahlregister, hier nennt die EU-Mission eine Fehlerquote von 30%. Die Regierungspartei verteilte in großem Umfang Wahlgeschenke, etwa Küchenherde, und drohte mit der Einstellung von Zahlungen aus dem Armutsbekämpfungsprogramm der Weltbank im Falle ihrer Wahlniederlage.

Anhänger_innen der PNH dominieren in allen staatlichen Institutionen. Das ist besonders im Obersten Wahlrat (TSE) von entscheidender Bedeutung.

Am Wahlsonntag selbst kam es zu weiteren Unregelmäßigkeiten. Beobachter_innen, darunter die der internationalen Organisationen FIDH1, SOA-Watch2, „La Voz de los de Abajo“3 und die HondurasDelegation aus dem deutschsprachigen Raum, berichteten von Stimmenkauf durch die PLH (=Liberale Partei) und PNH, illegalem Handel mit Wahlhelferausweisen zugunsten der PNH, Manipulation des Wahlregisters und der Abwesenheit der gemeindefremden Wahlaufseher_innen (custodios). Noch am selben Abend wurde die erste Hochrechnung verkündet, die Juan Orlando Hernández von der PNH mit über 34% als Gewinner mit solidem Vorsprung vor Xiomara Castro sah. LIBRE, die Antikorruptionspartei PAC und zu Beginn auch die PLH äußerten bereits am Montag , dass sie das Wahlergebnis nicht anerkennen würden.

Einen Tag später, am Dienstag, 26. November, gab die Direktorin der Wahlbeobachtungsmission der EU, die österreichische Grünen-Abgeordnete Ulrike Lunacek, bekannt, die Wahl sei nach ihren Beobachtungen „transparent und friedlich“ verlaufen, auch wenn es im Vorfeld deutliche Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Die Anfechtung seitens drei der vier großen Parteien erwähnte sie mit keinem Wort – die honduranischen Medien griffen dies dankbar auf. Am folgenden Wochenende kam es bereits wieder zu Morden an Aktivisten von LIBRE, Opfer waren José Antonio Ardón und Eugenio Zavala Melgar, Mitglieder der sog. Motorradstaffel. Nach zwei Wochen erklärte der Oberste Wahlrat, seinerseits dominiert von der PNH, die Anfechtungen von LIBRE und PAC für nichtig und verkündete das offizielle Ergebnis: Mit 36,9% gewinnt Juan Orlando Hernández, 28,8% gehen an Xiomara Castro. Es ergibt sich eine Sitzverteilung von 48 für PNH, 37 für LIBRE, 27 für die PLH, 13 für die Antikorruptionspartei PAC und je ein Sitz für die Kleinparteien PINU, UD und DC. Xiomara Castro kündigte an, über die von LIBRE gewonnenen 37 Parlamentssitze und 31 Bürgermeisterämter Oppositionspolitik machen zu wollen und regte an, über die FNRP zusätzlich den außerparlamentarischen Widerstand zu intensivieren.

Vertreter_innen der außerparlamentarischen Widerstandsbewegung kommentierten das Ergebnis gelassen. Betty Matamoros von Alter Eco, einer Organisation zur Förderung kommunitärer Radiosender, schätzt den Militaristen und Ultrarechten Juan Orlando Hernández zwar gefährlicher ein als seinen Vorgänger und Parteifreund Lobo: „Mit der Militärpolizei PMOP hat er sich ein Instrument geschaffen, das eigentlich nur er selbst kontrolliert.“ Aber, so Berta Cáceres von der Lenca-Organisation COPINH: „Die 37 Abgeordneten von LIBRE werden ihm schon gewisse Kopfschmerzen machen.“ LIBRE ist zwar im Parlament die zweitstärkste Kraft, aber die Parteien der Oligarchie, Nationale und Liberale Partei, haben gemeinsam die absolute Mehrheit.

Leo Gabriel, österreichischer Aktivist und Teilnehmer der EU-Wahlbeobachtungsmission, übt heftige Kritik am Zustandekommen des EU-Berichts zur Wahl in Honduras. Seine und die Beobachtungen vieler anderer Beobachter_innen seien trotz Protestes verschwiegen worden. Mit der schnellen Anerkennung noch am Wahltag selbst legitimierte die EU-Mission einen Wahlprozess, bei dem ganz offensichtlich die Parteien der traditionellen Eliten eine Vielzahl von legalen und illegalen Maßnahmen ergriffen, um ihre Machtinteressen abzusichern.

Gabriel stellt Vermutungen über die politische Interessenlage der EU in Honduras an: „Einen sauberen und transparenten Wahlprozess zu präsentieren, hilft der Europäischen Union, das Image von Honduras in der Welt zu verbessern und das jüngst abgeschlossene Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika in Gang zu setzen“.

Mit den Wahlen wurde die Zweiparteienherrschaft der nationalen und der liberalen Partei im Kongress durchbrochen. Da die neue parlamentarische Opposition eine ernsthafte Gefahr für die bisher vorherrschende Hegemonie im Kongress darstellt, wurden vor der neuen Legislaturperiode noch schnell vollendete Tatsachen geschaffen. Zwischen den Wahlen und dem Beginn der neuen Legislaturperiode verabschiedete der scheidende Kongress über 120 Dekrete und Gesetze.

Unter anderem wurde die Mehrwertsteuer von 12 auf 15 Prozent erhöht, die Privatisierung der Nationalen Stromwerke ENEE und der staatlichen Telefongesellschaft Hondutel beschlossen und die Presse- und Informationsfreiheit wurde durch das Gesetz über geheime Informationen erheblich eingeschränkt. Das Gesetz zur Optimierung der öffentlichen Administration, welches Einsparungen im Staatsapparat bewirken soll, erweitert die Machtbefugnisse der Exekutivgewalt. So wird ihr das alleinige Recht übertragen, staatliche Ämter oder Organe zu gründen, zu modifizieren oder zu schließen. Durch diese Änderungen könnte die Regierung ohne die Zustimmung des Kongresses Abkommen und Genehmigungen unterzeichnen, befürchten Kritiker_innen.

Bereits bei den ersten Sitzungen des neuen Kongresses am 21. Januar 2014 zeigte sich die autoritäre Tendenz der nationalen Partei. Bei der Sitzung, die durch den Innenminister Áfrico Madrid geleitet wurde, wurde den Abgeordneten der Opposition aus LIBRE, PAC und PINU, die einen eigenen Vorschlag für den Kongressvorstand vorbringen wollten, trotz vielfacher Meldungen nicht das Wort erteilt. Dies führte zu heftigen Protesten der Abgeordneten und tumultartigen Szenen im Kongress. Gegen den Willen der Vertreter_innen der Opposition wurden am 23. Januar die Abgeordneten der PNH, Mauricio Oliva Herrera und Gladys Aurora López, zum Kongresspräsidenten und zur Vizepräsidentin ernannt. Von den zwölf zu vergebenden Posten wurden zehn durch die nationale Partei besetzt, ein Posten ging jeweils an die Miniparteien, die christdemokratische CD und die sozialdemokratische UD. Die Oppositionsparteien LIBRE, PAC und PINU sind nicht im Kongressvorstand vertreten, die liberale Partei hat alle Posten abgelehnt. „All diese Ereignisse in den ersten Versammlungen des Nationalkongresses zeigen uns, was wir in den nächsten vier Jahren erleben werden“, kommentierte der politische Sachverständige Julio Escoto.

Die Amtseinführung des Präsidenten Juan Orlando Hernández am 27. Januar im nur spärlich gefüllten Stadion von Tegucigalpa war dann weniger spektakulär. Die Abgeordneten LIBREs nahmen nicht am offiziellen Akt teil sondern beteiligten sich an einer Demonstration zu der die Partei und die FNRP an diesem Tage aufgerufen hatte.

Bereits mit den ersten Amtshandlungen setzte Hernández seine angekündigte Politik der harten Hand in die Tat um. Direkt nach seiner Vereidigung ordnete Hernández den Beginn der „Operation Morazan“ an. Dadurch soll die allgemeine und organisierte Kriminalität in Problemzonen bekämpft werden. An der Operation sind neben der nationalen Polizei auch die militärische Polizei für Öffentliche Ordnung (PMOP) und die Spezialeinheit TIGRES (Tropa de Inteligencia y Grupos de Respuesta Especial de Seguridad) beteiligt. Durch die Aktion wurden ganze Stadtviertel in Tegucigalpa und San Pedro Sula militarisiert und Einwohner_innen wurden willkürlichen Kontrollen ausgesetzt. Vor allem die PMOP und die TIGRES, deren Gründung Hernández als Kongresspräsident vorangetrieben hatte, werden von Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert. Die Trennung von nationaler Polizei und Militär, welche in Honduras erst seit 1993 existiert und nie vollkommen durchgeführt wurde, wird damit wieder aufgehoben. Die Operation Morazan wurde mittlerweile auch auf andere Regionen, wie die Krisenregion Bajo Aguan, in der der Landkonflikt zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern bisher über 120 Todesopfer forderte, ausgeweitet.

„Es bahnt sich ein Krieg der niederen Intensität an. Die Einheiten TIGRES und die militärische Polizei (PMOP) werden gebildet von Soldaten, die nur in der Aufstandsbekämpfung und dem Krieg niederer Intensität trainiert wurden, um sie auf die Straße loszulassen. Die Gründung dieser zwei Einheiten und die Förderung der bewaffneten Streitkräfte dienen dazu, die Diktatur zu stärken und zu schützen.“ erklärte María Luisa Borjas, ehemalige Direktorin für innere Angelegenheiten der nationalen Polizei.

Zur Zentralisierung der Macht und dem Ausschalten und Abbau demokratischer Strukturen dient auch das bereits erwähnte Gesetz zur Optimierung der öffentlichen Administration. Mit der Begründung der Einsparung hat die Regierung Hernández mehrere Ministerien geschlossen beziehungsweise zusammengefasst. Die bestehenden 38 Ministerien der Administration Porfirio Lobos wurden auf 15 reduziert. Diese 15 Ministerien werden vom Präsidenten, einem Generalkoordinator der Regierung und sieben Sekretär_innen koordiniert. Unter anderem wurde das Ministerium für Menschenrechte und das Ministerium für indigene Angelegenheiten, welche erst unter Präsident Lobo gegründet wurden, als eigenständige Ministerien aufgelöst und anderen Ministerien zugeschlagen.

Auch der Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes, welche Hernández bereits als Kongresspräsident vorantrieb, wurde weiter ausgebaut. Das Projekt der Arbeits- und wirtschaftlichen Entwicklungszonen (ZEDE), ein Nachfolgeprojekt der für verfassungswidrig erklärten Modellstädte, wurde in den letzten Wochen weiter konkretisiert. So soll nun eine erste Zone in Zusammenarbeit mit einer südkoreanischen Firma in der südlichen Region um Choluteca entstehen. Nach der Vergaben von Konzessionen zur Erdölförderung vor der Küste der Moskitia im Nordosten des Landes an British Gas ist eine weitere Konzessionsvergabe an Chevron im Gespräch. Ein verabschiedetes Gesetz zum Klimawandel stößt vor allem bei indigenen Organisationen wie OFRANEH auf Kritik, da dies auf die weitere Förderung des Anbaus von Ölpalmen und das umstrittene Waldschutzprogramm REDD+ setzt. Trotz massiver Kritik von Kleinbauern und Umweltorganisationen am Anbau der Afrikanischen Ölpalme, will Hernández die Palmölplantagen im Land um weitere 125 Tausend Hektar fast verdoppeln.

Durch die Machtübernahme Hernández ist eine Verbesserung der sozialen und politischen Situation und der Menschenrechtslage in Honduras augenscheinlich noch weiter in die Ferne gerückt. Der Einzug neuer Parteien in den Kongress bleibt dabei nur ein kleiner Hoffnungsschimmer und die nächsten Monate müssen erst zeigen, ob es einer parlamentarischen Opposition gelingen kann, im Kongress effektiven Widerstand gegen die autoritäre Politik der PNH zu leisten. Nicht zuletzt hängt dies auch von der Unterstützung der sozialen Bewegungen und dem Druck auf der Straße ab. Vor allem die weitere Organisation und Vernetzung lokaler Kämpfe wird im Kampf gegen den Ausverkauf des Landes eine wichtige Rolle spielen. So konnten, entgegen der düsteren Aussichten, vor allem indigene Kämpfe jüngst einige Erfolge erzielen und Alternativen zum derzeitigen System aufzeigen. Der Bau des Staudammprojektes Agua Zarca in der Region Río Blanco wird nun seit fast einem Jahr von den im COPINH organisierten Dorfgemeinschaften erfolgreich blockiert. In dem Dorf Nueva Esperanza konnte durch den friedlichen aber entschlossenen Widerstand der Einwohner_innen das Bergbauunternehmen Minerales Victoria vertrieben werden und im indigenen Landkreis San Francisco Opalaca verhinderte die Bevölkerung die Einsetzung eines Bürgermeisters, dem Wahlbetrug vorgeworfen wird. Stattdessen wurden vor wenigen Wochen der rechtmäßigen Bürgermeister Entimo Vásquez und indigene Räte eingesetzt.


1Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme (FIDH) Internationaler Dachverband von Menschebrechtsorganisationen
2School of the Americas Watch Organisation aus den USA gegen die Militärpolilitik der USA imn Lateinamerika
3Hondurassolidaritätsgruppe aus den USA