Samstag, 1. September 2012

Von der JournalistInnen-Delegation - Bericht 18


"Auf ihre Schüsse antworten wir mit Trommeln" - Garífuna-Camp in Vallecito hält Paramilitärs in widrigsten Bedingungen stand.
 

Der gelbe Schulbus nach Vallecito füllt sich in den Garífuna-Gemeinde entlang der Atlantikküste, bei jedem Halt lassen die jungen Leute im hinteren Teil des Busses kurz die Trommeln sprechen. Es herrscht gute Laune auf der Reise nach Vallecito, wo die Garífuna-Organisation OFRANEH ein Camp organisiert, um den geplanten Landvermessungsprozess zu begleiten  Unsere Fahrt endet inmitten einer Ölpalmenplantage vor einem verschlossenen Tor. Den Schlüssel zu dem Tor haben die Männer von Miguel Facussé, geöffnet ist nur ein schmaler Durchgang für Fußgänger. Uns bleibt daher nichts anderes übrig, als mit all unserem Gepäck zu Fuß weiter zu gehen. Wir sind nun schon auf dem Terrain von Vallecito, seit 1998 im Besitz von sechs landwirtschaftlichen Kooperativen der Garífuna. In kleinerem Maßstab werden hier ebenfalls Ölpalmen und Yuca angebaut. Hinter einem kleinen Kiefernwald tut sich eine Freifläche auf, auf der einige Häuser sowie aus Plastikplanen gebastelte Zelte stehen. Hier werden die Angereisten die nächsten Tage bis Wochen verbringen, ein paar mögen sogar gekommen sein, um zu bleiben und in Vallecito eine neue Existenz aufzubauen. Das Küchenteam ist schon dabei, in großen Töpfen auf Holzfeuerstellen das Abendessen zu kochen. Scheinbar ohne große Schwierigkeiten werden 150 Leute mit Essen und Schlafgelegenheiten versorgt. Für morgen, Montag früh, werden weitere UnterstützerInnen im Camp erwartet.


OFRANEH-Praesidentin Miriam Miranda stimmt die CampteilnehmerInnen auf die naechsten Tage ein (c) AA



Schon in der ersten Nacht wird deutlich, dass der Campingplatz zwischen Kiefernwäldchen nicht einmal eine Enklave der Ruhe ist. Aus nicht allzu weiter Entfernung sind Gewehrsalven zu hören. Ob es die dazugehörigen Waffen sind, wissen wir nicht – doch am nächsten Tag fahren auf dem Sandweg neben dem Camp immer wieder offene Kleinlaster vorbei, auf deren Ladefläche blau Uniformierte mit Maschinengewehren sitzen. Dies sind die „Sicherheitskräfte“ von Reynaldo Villalobos, oder besser gesagt seines unbekannten Nachfolgers, da Villalobos selbst inzwischen verstorben ist. Dem wohlhabenden Viehhalter wurde die Verwicklung in Drogengeschäfte nachgesagt.
Auch wenn nicht weit vom Meer entfernt, ist die Gemeinde vom Strand abgeschnitten, hier hat Miguel Facussé mit einem hohen Zaun Tatsachen geschaffen. 1600 Hektar Land wurden sechs Garífuna-Kooperativen 1998 zugesprochen, einschließlich des Küstenstreifens. Rund zwei Drittel davon sind derzeit von Eindringlingen besetzt, darunter Miguel Facussé und der Viehhalter Reynaldo Villalobo, der in der Region bereits große Ländereien besaß.

Vallecito ist nicht nur vom Strand, sondern auch von ausreichendem Zugang zu Trinkwasser abgeschnitten. Der Brunnen auf dem Gelände gibt wenig her, Wasser zum Waschen und Kochen muss jeden Tag in großen blauen Tonnen aus dem nächsten Bach herbeigeschafft werden – weder für temporäre Campamentistas noch für zukünftige Bewohner von Vallecito einfache Bedingungen. Dass es auch kein Stromanschluss existiert, ist in dieser abgelegenen Region eigentlich schon selbstverständlich.

Der Montag besteht im Großen und Ganzen aus Warten auf die Techniker vom Nationalen Agrarinstitut (INA), die nun jeden Moment erwartet werden, um mit der Vermessung des Terrains zu beginnen. Die Vermessung wurde 2010 zwischen OFRANEH und INA als Voraussetzung für die Rückgabe der besetzten Grundstücke an die Garífuna vereinbart. Problematisch an der Vermessung ist nur, dass die Techniker dazu die besetzten Grundstücke betreten müssen, auf der jederzeit eine Begegnung mit Bewaffneten befürchtet werden muss. Neben dem INA hat daher auch die Staatsanwaltschaft ihre Anwesenheit bei dem Vermessungstermin zugesagt.


Technische und spirituelle Vorbeireitung der Vermessung (c) JB

Montagnacht werden wir nicht nur von strömendem Regen heimgesucht, sondern auch von mit Maschinengewehren bewaffneten Männern, die nachts durchs Camp schleichen. Es geht das Gerücht um, dass sie ihre Anwesenheit damit verteidigt hätten, einen Tiger zu jagen, der ihr Vieh gerissen habe. Viehhalter mit Maschinengewehren? Der Einschüchterungsversuch ist allzu offensichtlich. „Sie wissen, dass wir im Recht sind. Die einzige Form uns zum Verzicht auf unser Recht zu bringen, ist, uns einzuschüchtern“, sagt Tito Valentin Castro aus der Nachbargemeinde Limón.
Tagsüber verhalten sich Tiger wie auch Bewaffnete ruhig, selbst die Kleinlaster lassen sich nicht blicken. Vielleicht weil eine Gruppe von etwa 40 Garífuna zusammen mit einem Mitarbeiter des INA heute die Wege beschreitet, um die Grenzen von Vallecito abzustecken. Der Techniker des INA ist alleine gekommen, für eine größere Arbeitsgruppe hätte das Agrarinstitut angeblich kein Geld gehabt. Der Staatsanwalt wird erst für den nächsten Tag erwartet, so dass an diesem Tag keines der besetzten Grundstücke vermessen werden kann.


Als der Mitaerbeiter des Agrarinstituts abgezogen ist und die Nacht ueber Vallecito einbricht, gehen die Einschuchterungsversuche aber weiter: Erneut schallen Gewehrschuesse durch die Nacht, diesmal vermeintlich naeher als an der Vortagen. Doch die munteren Gespraeche beim gemeinsamen Abendessen werden davon kaum gestoert. Nachdem die Teller gewaschen sind, holen einige der Jungendlichen ihre Trommeln hervor, um die Einschuechterung nicht unkommentiert zu lassen. "Sie versuchen Angst im Camp zu streuen, damit wir uns aufloesen. Doch wir bleiben hier, friedlich und entschlossen. Auf ihre Schuesse antworten wir mit Trommeln", ergaenzt OFRANEH-VizePraesident Alfredo Lopez das Geschehen, waehrend zu den bebenden Trommelrythmen ausgelassen getanzt und gesungen wird.

Die naechtlichen Gewehrsalven werden mit Trommeln beantwortet. Jugendliche feiern ausgelassen im Camp von Vallecito (c) AA

Doch das Warten zieht sich die folgenden Tage über hin, wobei die staatlichen Institutionen versuchen, die Verantwortung auf die jeweils anderen abzuschieben. aus den Verhandlungen zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Militär, die am Mittwoch morgen in Tocoa stattfinden, heißt es zunächst, das Militär müsse entscheiden. Am Donnerstag liegt die Verantwortung für den Einsatz dann plötzlich beim Sicherheitsministerium, dem aber angeblich das Geld für Benzin fehlt, um nach Vallecito zu kommen. Es wird nun immer deutlicher, dass die Autoritäten auf Zeit spielen, um sich aus der Affäre zu ziehen. So vergeht schliesslich eine komplette Woche ohne, dass das geplante Vermessung der von dem Viehzuechter Villalobo besetzten Lanedereien stattfindet. Waehrend sich die Offiziellen in Tocoa am Freitagnachmittag wieder in die Hauptstadt begeben, wird im Camp das weitere Vorgehen koordiniert. Auch wenn es nach Einschaetzung von OFRANEH unwahrscheinlich ist, dass die Vermessung noch stattfindet, wollen 20-30 Junge Menschen hier bleiben und werden in der naechsten Woche weitere Unterstuetzung bekommen. Die Wiedererlangung der Laendereien haette nicht nur als Praezedenzfalle hohe symbolische Bedeutung, das ca. 500 Hektar grosse Grundstueck wuerde auch ueber 100 jungen Familien Platz fuer eine Existenzgruendung, in Form von Haus und Agrarparzelle bieten. Auf dem Abschlusstreffen im Camp wird deutlich, warum dieses Interesse so vital ist: Als OFRANEH-Praesidentin Miriam Miranda die ca. 200 CampteilnehmerInnen fragt welche Gemeinde nicht von Landraub betroffen ist, regt sich keine einzige Stimme.