Freitag, 24. August 2012

Von der JournalistInnen-Delegation - Bericht 17

Der Landkonflikt in Bajo Aguan verschärft sich weiter:
Repression und Kriminalisierung erreichen die Hauptstad

Dienstagmorgen in der Hauptstadt: „Libertad, libertad" (Freiheit) rufen die ca. 200 Menschen vor der Polizeistation in der Innenstadt von Tegucigalpa wieder und wieder. Ob die 27 Bauern und Bäuerinnen aus der Region Bajo Aguán, die am Vorabend in Handschellen hier hergebracht wurden, sie hören können? Eine Frau in braunem T-Shirt wiederholt nervös: „Sie behandeln unsere Compañeros wie Kriminelle. Als wären sie Bandenmitglieder, als hätten sie ein Verbrechen begangen. Wir wollten doch nur für unser Recht auf Land und gegen die Entscheidung der Gerichte demonstrieren." Es dauert Stunden, bis Angehörigen erlaubt wird Wasser und Essen ins Gebäude zu bringen.


Protestierende werden nicht zu der Polizeiwache vorgelassen, wo die
verhafteten Bäuerinnen und Bauern festgehalten werden (C) JB


Der Konflikt im Aguan hatte bereits 50 Tote gefordert, da entschied ein Gericht im Mai dieses Jahres zugunsten der Bauern aus den Kooperativen
Despertar, San Isidro y La Trinidad, die mit dem Großgrundbesitzer, Ölpalmenmagnaten und einflussreichen Oligarchen Miguel Facussé um Landtitel streiten (siehe dazu die Reportage „Kein Blut für Palmöl" von Kathrin Zeiske und Delmer Membreño in: Amnesty Journal 08-09 2012). Das Urteil wurde jedoch inzwischen von einem Berufungsgericht aufgehoben und nun waren einige hundert Bauern und BäuerInnen verschiedener Organisationen aus dem Aguan in die Hauptstadt gekommen, um beim Obersten Gerichtshof zu protestieren. Sie vermuteten, dass große Geldsummen im Spiel waren, um die Kassation des Urteils zu erreichen. Zunächst hatten ihre Vertreter einen Gesprächstermin bekommen, der wurde jedoch flugs abgesagt - offenbar nachdem Interessenvertreter Facussés interveniert hatten. Enttäuscht und wütend besetzten die Bauern und Bäuerinnen daraufhin den Boulevard vor dem Gericht. Die gewaltsame Räumung durch Sondereinsatztruppen ließ nicht lange auf sich warten. Schlagstöcke und Tränengas wurden eingesetzt. Mancher fühlte sich wohl durch die Fernsehbilder am Abend in die Zeit des Putsches gegen Präsident Zelaya 2009 zurückversetzt. Von den Massen, die damals auf der Straße waren, ist allerdings am Dienstag dann gar nichts zu sehen. Die Mobilisierungskraft der ehedem so starken zivilen Widerstandsbewegung hat sehr nachgelassen, es gibt einige Solidaritätsadressen, aber im Lauf der Zeit bleiben BauernvertreterInnen, Medien und Menschenrechtsorganisationen nahezu unter sich.
Kein Zutritt zu den verhafteten Verletzten

Dina Meza, Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin von der Organisation Verhaftet-Verschwundener (COFADEH), selbst seit Monaten verfolgt und mit dem Tod bedroht, rennt an diesem Tag, den wir hauptsächlich vor der Polizeistation zubringen, unermüdlich zwischen verschiedenen Instanzen hin- und her, um die Freilassung der Inhaftierten zu erreichen. In einer kurzen Verschnaufpause macht sie sich Sorgen über den Zustand von zwei Verletzten: „Sie halten die Bauern illegal fest und verwehren mir den Zutritt selbst zu den Verletzten." Der 61jährige Daniel Santos hat bei der gewaltsamen Auflösung der Demonstration am Vortag einen Schlag ins Gesicht erhalten, der ihm die Nase gebrochen hat; eine der beiden inhaftierten Frauen, Josefa López wurde auf den Bauchgeschlagen, der inzwischen stark angeschwollen sei und dringend behandelt werden müsste, erzählt Dina noch, bevor sie wieder ins Polizeigebäude geht. Die UnterstützerInnen draußen hoffen, dass die Verhafteten nun bald, innerhalb der gesetzlichen 24 Stundenfrist nach ihrer Festnahme, freigelassen werden. Aber um 14:30 Uhr, eine halbe Stunde nach Ablauf der Frist, muss Rafael Alegría, der Koordinator des Dachverbandes „Via Campesina" frustriert und erschöpft verkünden, dass die diensthabende Staatsanwältin die Inhaftierten wegen „illegaler Zusammenrottung" und „Sachbeschädigung" an ein Gericht überstellen wird.

Der Frust des Bauernvertreters wird umso verständlicher, denkt man an den Vorabend. Freunde aus der zivilen Widerstandsbewegung in der Hauptstadt hatten uns gebeten bei der Polizeiwache anzurufen, in der die Inhaftierten zunächst festgehalten wurden und unsere Besorgnis zu äußern. Verdutzt stellten wir fest, dass der zuständige Offizier das Telefon gleich umstandslos an Rafael Alegría weiterreichte. Der sprach von einer gütlichen Einigung und davon, dass die Gefangenen innerhalb der nächsten halben Stunde freikommen würden. Weit gefehlt! Ein Abkommen mit staatlichen Stellen, wie der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte, war schon unterzeichnet – die Demonstranten hätten nur ein Vergehen, aber kein Verbrechen begangen und es läge deswegen kein Grund vor, sie in Haft zu behalten – da schritt der Polizeichef „El Tigre" Bonilla ein: Keine Freilassung, Abtransport in eine andere Wache.

Weitere Verhaftete und Verletzte nach Räumung im Aguan

Vergebliches Warten auf die Freilassung nach 24 Stunden
(C) JB

Am folgenden Nachmittag protestiert ein Häuflein UnterstützerInnen weiter gegen die Entscheidung der Staatsanwältin. Ein älterer Mann aus Tegucigalpa erzählt uns, wie er selbst in den achtziger Jahren im selben Polizeigebäude ohne Haftbefehl festgehalten und gefoltert wurde. Am Abend werden die Gefangenen erneut verlegt und schließlich nachts dem Gericht vorgeführt. Wir fahren durch die nächtlich leeren Straßen, hören Kommentare über die Gefährlichkeit dieser und jener Zone und kurbeln rasch die Autoscheiben hoch. Nach langem Warten, wir sprechen vom „efecto pie plano" (plattfüßige internationale Präsenz), sehen wir endlich gegen 22 Uhr die Gefangenen an einem großen Tisch sitzend Dokumente unterschreiben. Um drei Uhr früh sind schließlich alle wieder frei, gegen strenge polizeiliche Auflagen, die ihnen u.a. jeden weiteren Protest und jedes gemeinsame öffentliche Auftreten untersagen. Die Anklage besteht weiter.
In der Nacht zum Mittwoch waren bereits Nachrichten über Handy an die vor dem Gericht Ausharrenden gelangt, die von weiteren Verhaftungen in der Region Aguán selbst berichteten. Etwa 3.000 Menschen hatten dort die Straße zwischen den Städten La Ceiba und Tocoa blockiert und waren gegen 18 Uhr gewaltsam von Militär und Polizei geräumt worden. AugenzeugInnen berichten dem Vertreter der Bauernorganisation MUCA, Juan Chinchilla, dass die staatlichen „Sicherheits"kräfte auf die Menge geschossen und Tränengas eingesetzt hätten. Am Donnerstagmorgen ist dann von 19 Verhafteten, darunter sechs Minderjährigen, zahlreichen Verletzten und etlichen Vermissten die Rede. Polizei und Militär hätten in der Dunkelheit Jagd auf die Protestierenden gemacht, die Lage sei weiter unübersichtlich.

Die offizielle Version der Geschichte
Während auf dem Land schon längst und nun eben auch wieder in der Hauptstadt jegliche Rechtsstaatlichkeit suspendiert scheint, verbreiten die nationalen offiziellen Medien, die einigen wenigen einflussreichen Familien gehören - und in der Folge z.B. auch die Agentur reuters und britische „Guardian" - ihre eigene Version der Ereignisse: Von einem Landkonflikt und Gerichtsurteilen ist dort gar nicht die Rede. Laut offizieller Lesart haben die Bauern aus dem Aguán dagegen protestiert, dass ein neues Gesetzesdekret ihnen das Tragen von Waffen verbietet. Die schon seit längerem angefachte Diskreditierungskampagne gegen die zivilen Widerstandsbewegungen und besonders gegen die Bauernorganisationen im Aguan geht damit in eine neue Runde. Immer wieder ist in Veröffentlichungen, zuletzt auch in der angeblich „linken" Internetzeitschrift „El Faro" aus El Salvador, von bewaffneten Bauern die Rede, als befände man sich bereits im Kriegszustand. Ganz „zufällig" wird dabei unterschlagen, dass die privaten Sicherheitskräfte, z.B. die „Blauhemden" von Facussés Unternehmen DINANT, die bei Gelegenheit durchaus auch als paramilitarische Killertruppen auftreten, „selbstverständlich" vom Waffenverbot ausgenommen sind.